Fehlende Fehler-Kultur verbinden deutsche und französische Polizei

Fehlende Fehler-Kultur verbinden deutsche und französische Polizei Wunschpolizei - Screenshot NDR-Doku: Feinbild Polizei

"Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat rund 400 mutmaßliche Randalierer angeklagt, verurteilt wurden etwa 100 Personen. Gegen Polizisten wurden in 166 Fällen ermittelt, verurteilt wurde einer."

Dieses Zitat stammt aus der NDR-Reportage "Feindbild Polizei - Gewalt und Gegengewalt ohne Ende?" und bezieht sich auf die strafrechtliche Bilanz der Ermittlungen nach dem G20-Gipfel von Juli 2017 in Hamburg. Es zeigt eklatant, wie unterschiedlich Gewalttaten bewertet werden können.

"Können" ist eigentlich fehl am Platz, denn leider zeigt diese sachliche und gut recherchierte Dokumentation von dem Regisseur Sebastian Bellwinkel und seinem Team, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Im Gegenteil, die Investigationen des Drehteams fördern zutage, dass die Polizei in Frankreich und in Deutschland immer noch eine Art Königs- bzw. Kaisertruppenstatus -- und in der Regel eine uneingeschränkte Rückendeckung seitens der jeweiligen Regierungen -- genießt.

Trotz der Bilder, die eine ganz andere Sprache sprechen, behaupten Politiker, nie habe ein Polizist zuerst zugeschlagen, es sei in einem Rechtsstaat unakzeptabel von Polizeigewalt zu sprechen oder es habe keine Polizeigewalt gegeben. So Christophe Castaner (ehemaliger französischer Innenminister), Emmanuel Macron und Olaf Scholz (ehemaliger Hamburger Bürgermeister), wie ab Minute 51:05 nachzuhören ist.

Solche Aussagen sind nicht nur wegen des vorhandenen Bildmaterials umso unverständlicher, sondern auch weil es Polizeigewalt immer gegeben hat. Der Wechsel von der Monarchie bzw. vom Kaisertum zur Demokratie hat daran nichts geändert. Die Polizei ist ein staatliches Organ geblieben, das in den meisten Fällen den angeordneten Befehlen folgt. Egal, ob diese legitim oder nachvollziehbar sind, wie zuletzt am 18.11.2020 in Berlin geschehen: Es wurden grundlos Wasserwerfer gegen friedliche Demonstranten eingesetzt.

Dabei zeigen andere Polizeieinsätze in Deutschland, dass es auch anders geht, wenn Kommunikation statt Drohungen und Gewalt im Vordergrund steht. Ab Minute 24:20 wird solch ein gelungener Polizeieinsatz in Braunschweig hervorgehoben. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Analyse von Thomas Wüppesal, der den Einsatz der Polizei bei der Demonstration in Leipzig am 21.11.2020 als "geradezu vorbildlich" lobt.

Während in Deutschland erfreulicherweise Kommunikation bei der Polizei noch einen ziemlich hohen Wert hat und (hoffentlich) in vielen Fällen erfolgreich angewendet wird, verhält es sich in Frankreich anders: Das harte Durchgreifen bestimmt seit 2005 das Wesen der Polizei, was wir laut dieser Recherche dem ehemaligen Innenminister Nicolas Sarkosy verdanken: Repression statt Kommunikation und die Null-Toleranz-Grenze wurden die neuen Maximen der Polizei. Sarkosy ist auch für die Militarisierung der französischen Polizei verantwortlich, die über Waffen verfügt, die aufgrund des hohen Verletzungs- bzw. Tötungspotentials  in allen anderen europäischen Ländern verboten sind.

Im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich gibt es seit 2004 in Großbritannien eine wirklich unabhängige Polizei-Aufsichtsbehörde, die mit 1.000 Mitarbeiter:innen frei ermittelt, Zugang zu allen Informationen hat und ein hohes Vertrauen in der Gesellschaft genießt. Es handelt sich um das IOPC (Independent Office for Police Conduct), das dafür sorgt, dass nicht mehr (nur) Polizisten gegen Polizisten ermitteln (ab Minute 1:04:25).

Nichtdestotrotz gibt es in GB immer noch Polizeigewalt (in welchem Maße erfahren wir in dem Film nicht), doch diese Instanz ist ein wichtiger Schritt in der richtigen Richtung, da er dazu beiträgt das Feindbild Polizei und somit Aggressionen abzubauen. Eine solche Einrichtung in Frankreich und Deutschland wäre dringend notwendig, würde sie doch die Zunahme von Polizeigewalt ausbremsen -- doch leider zielen in Deutschland die Änderungen der Polizeigesetze immer in die gleiche Richtung: der Polizei noch mehr Macht zu geben.

 

Quellen und Verweise:
Feindbild Polizei - in der ARTE-Mediathek bis zum 2.02.2021 verfügbar
Staatsgewalt - Wenn Polizisten zu Tätern werden
Unabhängige Polizeibeschwerden
Désarmons-les - armements et fabricants


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