Und sie bewegt sich doch – die Friedensbewegung

Und sie bewegt sich doch – die Friedensbewegung Bild von michel kwan auf Pixabay

Die Demonstration „Aufstand für den Frieden“ am Samstag, dem 25. Februar 2023 in Berlin, war ein Erfolg. Alleine wegen der beeindruckenden Teilnehmerzahl. Es hat sich gezeigt: Jenseits der Einheitspropaganda der gleichgebürsteten Systemmedien entwickelt sich etwas. Dafür sprach schon vor der Demonstration die Tatsache, dass das von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer verfasste „Manifest für den Frieden“ in kurzer Zeit über 600.000 Unterschriften erhalten hatte.

Ist dies der Beginn einer neuen Friedensbewegung?

Inzwischen sind es rund 750.000, die das Manifest für den Frieden unterzeichnet haben. Wer behauptet, die Kraft und Reichweite der Systemmedien sei nicht zu brechen, hat erst einmal einen Dämpfer erhalten. Das ist eine starke Botschaft der Demonstration. Ob sich damit bereits die Hoffnung auf eine Wiederbelebung der Friedensbewegung – also der aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – verbinden lässt, bleibt allerdings noch offen. In der Freude über die erfolgreiche Demonstration ist ein solcher Wunsch verständlich, zumal vielen Teilnehmern, vor allem denen, die damals bei der Demonstration gegen die NATO-Nachrüstung im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981 dabei gewesen waren, das Herz höher geschlagen haben dürfte.

Mit etwas Abstand kann aber die Frage gestellt werden, wie diese Bewegung einzuschätzen ist, ob man überhaupt schon von einer Bewegung sprechen kann und vor allem, wie es in Sachen Frieden weiter gehen soll. Eine emotionale oder verbale Anknüpfung an die „alte“ Friedensbewegung reicht nicht aus, um der heutigen Situation gerecht zu werden. Bereits bei oberflächlicher Betrachtung lässt sich feststellen: Trotz der vielen Menschen, die sich vor dem Brandenburger Tor zusammengefunden hatten, kann von einer Bewegung noch nicht gesprochen werden. Nicht nur weil keine organisatorischen Strukturen vorhanden sind, sondern weil eine Debatte über politische Einschätzungen und Ziele erst in Ansätzen stattgefunden hat. Man kann feststellen, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland und wohl auch die Demonstrationsteilnehmer wenig auf die neue Lage eingestellt sind.

Mehr noch, humanistische und demokratische Prinzipien, wonach alle, die Frieden wollen, sich am Diskurs beteiligen können, ja sollen, sind keine Selbstverständlichkeit mehr. Stattdessen sind Spaltungsversuche an der Tagesordnung. Von den toxischen Angriffen der Systemmedien ganz zu schweigen. Das mindert aber nicht den Wert der Demonstration, ganz im Gegenteil. Sie ist eine gute Grundlage für die Motivation vieler Friedensfreunde, weiterarbeiten zu können. Eine endgültige Antwort bzw. die Diskussion darüber wird langwierig sein. Sie wird sich wahrscheinlich – oder gerade deshalb – länger hinziehen, wenn der gegenwärtige Ukrainekrieg zu einem Stillstand kommt.

Der hier vorgelegte Text wird also keine endgültigen Antworten geben. Er soll eher als ein Anstoß zur Debatte über Krieg und Frieden in Europa und die Rolle Deutschlands verstanden werden. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, worum es 1981 ging. Es war die Zeit des Kalten Krieges und kaum jemand unter den Demonstranten hatte eine wirklich Vorstellung über ein politisches Ende der nuklearen Abschreckung. Die Demonstrationen und ihre Forderung gegen die NATO-Nachrüstung – also gegen die Aufstellung der Pershing-Mittelstreckenraketen – war Ausdruck einer weit verbreiteten Ablehnung der Konfrontations- und Rüstungspolitik. Aber auch eine kritische Haltung gegenüber dem technischen Fortschritt, der die Menschheit mit der Atombombe an den Rand ihrer Existenz geführt hat. In Sachen Technikgläubigkeit hat sich einiges geändert, leider nicht zum Guten.

Hauptsache Frieden

Eine Grundhaltung „Hauptsache Frieden“ dürfte damals – wie auch heute – bei vielen Demonstranten vorherrschend gewesen sein. Die Tatsache, dass die NATO-Nachrüstung nicht verhindert werden konnte, ist im historischen Gedächtnis von der Wiedervereinigung im gleichen Jahrzehnt, überlagert worden. Es gab so etwas wie die Erleichterung darüber, dass es noch einmal gut gegangen war. Der sozialistische Block, der große Kontrahent im System- und Rüstungswettlauf, war ja untergegangen. Während viele Menschen, geframed von den Medien, sich bereits im Zeitalter des ewigen Friedens wähnten, gingen die Kriege unvermindert weiter. Auch mit deutscher Beteiligung. Der Jugoslawienkrieg 1999 und danach 20 Jahre Afghanistan wurden allerdings von vielen Menschen verdrängt und nicht wahrgenommen. Die Kriege, etwa im Irak, in Syrien oder im Jemen toben heute noch.

Der von vielen Menschen erhoffte Frieden ist nicht eingetreten. Die Weltmacht USA, welche die unipolare Weltordnung nach dem Ende der Sowjetunion bestimmte, war die unangefochtene Nummer eins. Sie hat diesen Frieden nicht gewollt. Dabei sind nicht nur die Kriege im Nahen und Mittleren Osten gemeint, wo übrigens noch die Zerschlagung Lybiens anzuführen wäre. Vielmehr wurde das Verteidigungsbündnis NATO um die ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes erweitert. Auch nach der Ukraine, ehemals Teil der UdSSR, versuchte die Supermacht USA zu greifen. Besonders über diese Interpretation der Geschichte der letzten vier Jahrzehnte besteht in der aufkeimenden Friedensbewegung sicher noch kein Konsens.

Die NATO-Osterweiterung führte zwangsläufig in eine neue Konfrontation mit Russland, welches nicht nur Atommacht geblieben war, sondern sich wirtschaftlich als größter Energielieferant der Erde etabliert hatte. Auch das wiedervereinigte Deutschland baute seine wirtschaftlichen Beziehungen zur Russischen Föderation mit Erfolg aus. Aber nicht nur das gewandelte, positive Verhältnis zu Russland spielte nach der Jahrtausendwende eine Rolle. Die Volksrepublik China, die sich in den vier Jahrzehnten nach Mao‘s Tod zur zweitgrößten und inzwischen wohl größten Wirtschaftsmacht der Welt entwickelt hat, veränderte erkennbar die Kräfteverhältnisse. Vom wirtschaftlichen Austausch mit China profitierte nicht zuletzt auch Merkels Deutschland. Vor diesem Hintergrund schien die deutsche Welt vom unaufhörlichen Wohlstandszuwachs geprägt zu sein, gewissermaßen einem Friedensbonus nach Jahrzehnten der Angst und der Teilung. Endlich, mögen viele gedacht haben.

Das Erwachen aus dem Dornröschenschlaf

Der Bruch kam erst mit Corona und der Pandemiepolitik. Dies riss zumindest einen Teil der politisch bewussten Friedensfreunde aus dem Dornröschenschlaf. Es entstand in der Auseinandersetzung mit dem Pandemieregime und dem Abbau demokratischer Rechte eine kritische Bewegung, die starke Alternative Medien aufzubauen begann. Die Geschwindigkeit des Demokratieabbaus und die Ausrichtung der Massenmedien zu Propagandainstrumenten vermochte die alternativen Medien nicht zu schwächen. Eher im Gegenteil. Aber große Teile der demokratischen Öffentlichkeit waren erst einmal überfordert. Hinzu kam, dass die einst pazifistischen und umweltbewussten Grünen die Fronten wechselten. Sie wurden zum stärksten Kriegstreiber der politischen Landschaft in Deutschland. Am 25. Februar hat sich offenbart, dass sie zu den stärksten Feinden einer Friedensbewegung gehören.

Vor allem die politische Großwetterlage, in welcher der Hegemon USA aktuell und offen die Volksrepublik China zum Hauptfeind und Kriegsgegner erklärt, wird für viele Friedensfreunde ein Brocken sein, an dem Sie noch lange zu beißen haben werden. Das Narrativ, dass der Westen und seine Führungsmacht die Guten seien und der Rest die Bösen, hat seine Substanz verloren. Nur langsam kommt es Friedensaktivisten und Pazifisten ins Bewusstsein, dass sich Deutschland im Fadenkreuz der US-amerikanischen Politik zu befinden scheint. Die Sprengung der Nordstream Pipelines ist nicht nur ein brutaler Angriff auf deutsche Versuche, eine eigenständige Politik zu betreiben. Im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen Russland verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage im Land massiv. Immer mehr Menschen, aber auch Unternehmen sind inzwischen in großer wirtschaftlicher Bedrängnis. Von Stagflation ist die Rede.

Zum anderen verhält es sich mit der US-Politik aber so, dass Deutschland seine führende Rolle in der Europäischen Union nach einem Jahr Ukrainekrieg verloren hat. Es ist deutlich zu erkennen, dass die politischen wie wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse in der EU zu Ungunsten Deutschlands verschoben wurden. Das scheint zu einem Kriegsziel des US-Hegemons gehört zu haben. Auch über diese Einschätzung wird in Zukunft zu diskutieren sein. Allerdings scheinen die USA mit dem Umbau ihres Herrschaftsbereichs, der heute globaler Westen genannt wird – Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland werden inzwischen hinzugerechnet – noch längst nicht am Ende zu sein.

Die offenen Kriegspläne der USA gegen China stützen sich wie selbstverständlich auf die Teilnahme der NATO-Mitglieder. Deshalb hat man sie ja neu ausgerichtet. Befehlsausgabe in Ramstein. Daraus ergibt sich inzwischen, dass, wie im Ukraine Krieg, die deutsche Teilnahme in vorgeschobener Position erwartet wird. Das verlangen die USA. Und die deutschen Politiker leisten bedingungslosen Gehorsam. Es dürften also die gleichen Eskalationsschritte wie im gegenwärtigen Krieg zu erwarten sein: Angefangen mit Sanktionen, gefolgt von Waffenlieferungen könnte dies allerdings mit einem deutschen Truppeneinsatz enden. Und dem anderer NATO-Mitglieder. Ein Stellvertreterkrieg wie in der Ukraine dürfte das nicht mehr sein. Und es könnte mehr oder weniger zu einem wirtschaftlichen Niedergang großen Ausmaßes führen. Auch das ist bislang bei Friedensbewegten noch wenig thematisiert.

Die Anforderungen an die "neue Friedensbewegung"

Spätestens mit dem Ukrainekrieg ist eine Überwindung der unipolaren Weltordnung – die Atlantiker nennen dies ihre „regelbasierte“ Ordnung – und der Wandel hin zu einer multipolaren, zum Thema geworden. Eine neue Friedensbewegung muss für sich also klären, ob sie glaubt innerhalb der NATO, aber auch der EU, erfolgreich für Frieden wirken zu können. Wird es möglich sein, dass Deutschland sich der ihm vom Hegemon zugedachten Rolle als Frontkämpfer und Mit-Finanzier in einem Krieg gegen China, Russland und möglicherweise die BRICS-Staaten entziehen kann? Können Deutschland und mit ihm andere europäische Länder sich für eine neue politische Orientierung entscheiden, welche sich vom gewaltsamen Erhalt der alten unipolaren Weltordnung des US-Hegemons verabschiedet? Ist es denkbar, dass daraus eine Neutralität gegenüber den Atom- und Großmächten wird? Und gelingt es, dies zur Mehrheitsmeinung zu machen?

Das mag für viele nach Zukunftsmusik klingen, nach Lösungen für Probleme, welche vielen noch gar nicht bewusst sind. Aber Vorsicht, das Entwicklungstempo der vergangenen drei Jahre wird sich nicht verlangsamen. Eher ist das Gegenteil zu erwarten, denn hinter der Zuspitzung der politischen Verhältnisse erscheint zunehmend deutlich der Zusammenbruch des westlichen Finanzsystems. Oder des Kapitalismus, wie manche sagen. Auf alle Fälle sind die USA und mit ihr die Weltwährung Dollar (oder Petrodollar) einer der erkennbaren Verlierer des Ukrainekrieges. Dieser wirkt als Treibsatz und spitzt die vorhandenen Widersprüche zu. Dennoch ist festzuhalten, diese Einschätzung mögen viele nicht teilen. Bisher.

Ob sie zutrifft, wird sich möglicherweise bald, durchaus noch im Jahr 2023, herausstellen. Und ob die Pläne mit einem digitalen Zentralbankgeld und einer durchdigitalisierten Kontrolle der Bevölkerung im globalen Westen von deren Oligarchenklasse durchgesetzt werden können, wird sich erst noch herausstellen müssen. Das gilt aber auch für die Frage welchen Kurs China steuert. Dies wird sich endgültig in der Realität der Konfrontation mit dem US-Imperialismus erweisen. Noch werden viele Informationen über China und seine Führung durch die hiesigen Systemmedien gefiltert und lassen keine zuverlässigen Einschätzungen zu. Auf alle Fälle werden die Mutmaßungen einiger Theoretiker mit mehr oder minderer Nähe zum Thema World Economic Forum (WEF) dann tatsächlich auf den Prüfstand stehen.

Wird China und mit ihm Russland sowie alle die Länder, die sich in der BRICS-Bewegung gegen die unipolare Weltordnung des globalen Westens stellen, eine Friedensordnung für die Welt anstreben? Oder werden diese Länder, die zwei Drittel der Weltbevölkerung samt der dazugehörigen Wirtschaftskraft ausmachen, unter Führung Chinas in die Fußstapfen des US-Imperialismus treten? Wird eine multipolare Weltordnung eine Alternative sein, welche den Frieden nicht nur zwischen den Völkern und Staaten, sondern auch in deren Innerem, also den sozialen Verhältnissen, entwickeln kann? Dies wäre die tatsächliche Alternative zu Krieg. Die Friedensbewegten müssen den Mut aufbringen, sich damit auseinanderzusetzen. Erst dann kann von einer neuen Friedensbewegung gesprochen werden, die im Vergleich zu 1981 völlig andere Anforderungen meistern könnte. Ein Anfang ist gemacht.

 


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