Trumans Version prägt bis heute die Hiroshima-Erzählung
An der offiziellen Pressemitteilung des Weißen Hauses war mehrere Wochen lang formuliert worden.
Noch am Vorabend der Explosion gab es Änderungen.
US-Präsident Harry S. Truman hatte den Einsatz persönlich gebilligt. Der Abwurf der ersten Atombombe kostete über 125.000 Menschen das Leben. Diese Nachricht vom 6. August 1945, also vor 79 Jahren, traf die amerikanische Öffentlichkeit unvorbereitet. Sie sprach von der Existenz einer neuen, revolutionären Waffe mit außerordentlicher Zerstörungskraft und der Tatsache, dass sie von einem US-Flugzeug über einer japanischen Stadt abgeworfen und zur Explosion gebracht worden war. Was auf den ersten Blick als alltägliche Meldung über das Kriegsgeschehen zu lesen war, enthielt die Information über schockierende Ereignisse. Ein Zufall war es also nicht, wenn die Presseleute des Militärs und des Weißen Hauses für die Formulierungen einer Erklärung viel Zeit aufgewendet hatten.
Denn den Verantwortlichen war die Dimension der neuen Waffe offenbar schon vor ihrem ersten Einsatz klar. Für sie war wichtig, dass der Atombombenabwurf nicht einfach als ein Triumph der militärischen Macht der USA gemeldet werden würde. Anhand der zu erwartenden Opferzahlen musste der Angriff gleichzeitig mit dem amerikanischen Selbstverständnis von Anstand und der Sorge um das menschliche Leben in Einklang gebracht werden. Die Erklärung des Präsidenten musste gewissermaßen eine Quadratur des Kreises bewerkstelligen und sie sollte in ihrer Wirkung auf die Menschen von langer Dauer sein. Wie wir heute wissen, ist dies weitgehend gelungen. Die offizielle Erklärung Trumans wurde zur Geburtsstunde des Narrativ vom notwendigen Atombombenabwurf über Hiroshima, das bis heute Bestand hat, wenn auch mit abnehmender Tendenz.
Da sich Präsident Truman an jenem Tag auf dem Rückweg von der Potsdamer Konferenz auf einem Kriegsschiff auf hoher See befand, wurde die Erklärung, die etwas mehr als tausend Worte umfasste, an das Pressecorps des Weißen Hauses verteilt und anschließend von einem Pressesprecher verlesen. Obwohl der Text so bedeutsam war, drang dies erst einmal nicht zu den Journalisten durch. Wie Berichten zu entnehmen ist, blieb die Atmosphäre locker. Offenbar hatten die Pressevertreter große Schwierigkeiten, das was sie hörten, zu verstehen. Auch ihre Redaktionen in den USA sowie im Ausland, an die das weitergeleitet wurde, reagierten ähnlich oder ungläubig. Dass eine Stadt mit einer einzigen Bombe ausgelöscht wurde, entzog sich ihrer Vorstellungskraft.
Aber das war nur die eine Seite der Angelegenheit. Die PR-Spezialisten trugen massiv zu den Schwierigkeiten bei, das Ereignis zu verstehen. So war bereits der erste Satz richtungsweisend.
„Vor sechzehn Stunden warf ein amerikanisches Flugzeug eine Bombe auf Hiroshima ab, einen wichtigen Stützpunkt der japanischen Armee. Diese Bombe hatte mehr Kraft als 20.000 Tonnen TNT… Die Japaner haben den Krieg in Pearl Harbor aus der Luft begonnen. Sie wurden dafür um ein Vielfaches entschädigt… Es ist eine Atombombe. Sie ist eine Nutzbarmachung der Grundkraft des Universums“.
„Nutzbarmachung“ ist eine üble Verdrehung der Katastrophe. Auch der Name der Stadt Hiroshima wurde in Trumans Erklärung nicht genannt. Dazu war die Behauptung, es handelte sich um einen wichtigen Militärstützpunkt, eine Lüge.
Noch etwas ganz Entscheidendes fehlte in Trumans verlesener Erklärung. Er verschwieg die Strahlung und ihre Auswirkung. Nachfragen von Journalisten kamen nicht. Obwohl der Präsident und seine Administration darüber informiert waren, dass die Bombe auch viele Strahlenopfer kosten würde, beschrieb die Presseerklärung lediglich das eindimensionale Bild einer größeren Sprengkraft der Bombe. So bezog sich Trumans Charakterisierung einer revolutionären neuen Waffe nur auf den größeren Druck und die Zerstörung, die sie anrichten konnte. Die tödlichste Neuerung der Strahlung blieb der Öffentlichkeit lange verborgen.
Hiroshima war kein „Armeestützpunkt“, sondern eine Industriestadt mit 350.000 Einwohnern. Zwar gab es ein Militärlager am Rande der Stadt, aber die Bombe war auf das Stadtzentrum, weit weg von Industrie- und Militärlager, geworfen worden. Die Bombardements verliefen nach dem gleichen Muster wie gegen deutsche Großstädte: Sie richteten sich primär gegen die Zivilbevölkerung. In Hiroshima sollte zudem noch ein „Fokussierungseffekt“ ausgenutzt werden. Die Innenstadt war von drei Seiten mit Hügeln umgeben, sodass der Druck der Explosion auf die Stadt zurückprallen und so verstärkt werden sollte. Die überwiegende Mehrheit der Opfer waren Frauen, alte Menschen und Kinder. Außerdem auch viele Zwangsarbeiter aus Korea.
Zur Zeit des Bombenabwurfs wusste die amerikanische Führung sehr wohl, dass die Sowjetunion nur wenige Stunden vor der Kriegserklärung an Japan stand. Es hätte also keiner neuen „revolutionären“ Bombe bedurft, um den Krieg im Pazifik zu beenden. Aber Truman wollte Stalin beeindrucken und einschüchtern. Er selbst war wohl von der Bombe so fasziniert, dass er sie in Gesprächen als
„die größte Sache der Geschichte“ bezeichnete.
Die Begründung des Atombombenabwurfs als militärische Notwendigkeit durch Truman am 6. August 1945 bildet bis heute das Hiroshima-Narrativ. Truman habe damit den Krieg frühzeitig beendet und unzähligen amerikanischen Soldaten das Leben gerettet. Diese Erzählung ging in die Geschichte ein und wurde an Generationen in aller Welt weitergegeben.
Zwar gibt es seither auch das vielfach geäußerte Postulat:
„Wir dürfen niemals Atomwaffen einsetzen“.
Aber nur wenige wissen, dass die USA ihre im August 1945 eingeführte offizielle Politik des „Ersteinsatzes“ beibehalten haben. Jeder US-Präsident hat die uneingeschränkte Befugnis, einen präventiven Erstschlag anzuordnen, und zwar nicht als Vergeltungsmaßnahme für einen Atomwaffenabschuss in Richtung USA, sondern in jedem konventionellen Krieg oder sogar in einer überhitzten Krise.
Genauso wie Präsident Truman seine Gründe für den Erstschlag gegen die zwei japanischen Großstädte hatte, so könnte es auch in Zukunft wieder geschehen. Die Grenze gegen den Einsatz von Atomwaffen ist gezogen… im sich bewegenden Sand.
Quellen und Verweise:
Wikipedia.de • Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki
Wikipedia.de • Harry S. Truman
Telepolis, 5. August 2005 • Peter Bürger, Die Legende über Hiroshima und Nagasaki