Württembergischer Friedensaufruf zum Herbst 2023 – Aufruf an Kirche und Politik zum Mitzeichnen

Württembergischer Friedensaufruf zum Herbst 2023 – Aufruf an Kirche und Politik zum Mitzeichnen Logo Friedenspfarramt

Viele Blicke sind momentan auf die Gräueltaten im Gazastreifen gerichtet, doch das Blutvergießen in der Ukraine ist noch nicht zu Ende. Paul Bosler von dem Friedenspfarramt der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in Stuttgart hat einen unerwarteten, gut formulierten Friedensaufruf veröffentlicht und lädt dazu ein, diesen mit zu unterschreiben.

Ergänzend dazu findet sich anschließend die biblisch-theologische christliche Stellungnahme zum Ukrainekrieg, die Pfr. i. R. Friedrich Gehring beim Friedensfestival am 3.10.2023 in Stuttgart vorgetragen hat.

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Württembergischer Friedensaufruf zum Herbst 2023

1. „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.“ (Matthäus 5,44)

Es wird gesagt, man müsse die Feinde auf dem Schlachtfeld besiegen. Wir hören, dass Jesus Christus uns zumutet, unsere Feinde zu lieben. Der erste Schritt dazu ist, probeweise die Perspektive zu wechseln, das gegnerische Gegenüber zu achten, ihm zuzuhören und seine Interessen ernst zu nehmen.

2. „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten, und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch.“ (Matthäus 20,25f)

Es wird gesagt, die Nächstenliebe gebiete es, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen, damit sie sich gegen die Aggression verteidigen kann.

Wir fragen uns, ob wirklich alle Menschen in der Ukraine mit militärischen Mitteln verteidigt werden wollen, durch die so viele Menschen getötet, unzählige Verstümmelte und Traumatisierte zurückgelassen werden. In allen Ländern gibt es Menschen, die militärische Mittel ablehnen und auf Verhandlungen und gewaltfreie Mittel setzen. Auch Ukrainer sind vor dem Kriegsdienst geflohen, andere werden gegen ihren Willen zum Kriegsdienst gepresst. Werden die Menschen, die in der Ukraine leben, wie viele andere Völker, nicht durch die Herrschenden ihrer Länder manipuliert, um damit die Ziele der Herrschenden zu erreichen? Als Menschen müssen wir uns immer fragen, ob das, was allgemein für hilfreich gehalten wird, wirklich gut ist.

3. „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“ (Matthäus 7,3)

Es wird gesagt, der russische Präsident sei ein imperialistischer Herrscher, ein unberechenbarer Tyrann. Die westlichen Länder dagegen werden als Hüter des Friedens und der Menschenrechte gezeichnet.

Wir hören, dass Jesus uns im Vaterunser auffordert, um Vergebung unserer eigenen Schuld zu bitten. Deshalb widersprechen wir der undifferenzierten Einteilung in Gute und Böse. Wir sehen uns aufgefordert, auch zu fragen: Welche Fehler haben wir, die westliche Welt, im Umgang mit Russland gemacht? Sklaverei, Kolonialismus und zwei Weltkriege, sollten Grund genug sein, das Selbstbild vom moralisch hochstehenden Westen infrage zu stellen.

4. „Stecke dein Schwert wieder an seinen Ort. Denn wer das Schwert nimmt, der wird durch das Schwert umkommen.“ (Matthäus 26,52)

Es wird gesagt, angesichts der aktuellen Situation sei die Forderung nach Gewaltverzicht naiv, unrealistisch und unvernünftig.

Wir meinen, dass die Überzeugung naiv und unvernünftig ist, bis zum endgültigen Sieg über das Böse sei militärische Gewalt gerechtfertigt. Diese Überzeugung kann zur Eskalation bis hin zu einem atomaren Weltkrieg führen. Deshalb treten wir ein für eine Vernunft des Gewaltverzichts.

5. „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt… Friede-Fürst.“ (Jesaja 9,5)

Es wird gesagt, wir befänden uns in einer Situation, die eine militärische „Zeitenwende“ notwendig mache.

Wir glauben, die wahre Zeitenwende ist in Jesus Christus Wirklichkeit geworden. Wo wir ihm nachfolgen, und in seinem Sinne handeln, indem wir z.B. auf Verhandlungen und gewaltfreie Formen aktiven Widerstands setzen, da wird diese Zeitenwende heute erlebbar. So sind wir berufen, Salz der Erde und Licht in unserer unvollkommenen Welt zu sein.

6. „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes“ (Römer 12, 2). „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Römer 12, 21)

Von Personen der Kirchenleitung sind Stellungnahmen zu hören, die Waffenlieferungen in die Ukraine und militärische Gewaltanwendung rechtfertigen. Mit solchen Äußerungen schwimmen die Kirchen im großen Strom von Medien und Politik.

Wir hören, dass Jesus uns zumutet, etwas zu sagen, was die „Welt“ sich nicht selber sagen kann. Wenn die Kirche den Auftrag Jesu nicht erfüllt, verrät sie ihr Wesen und verliert ihren Wert. Jesus Christus hat uns seine Friedensbotschaft nicht nur für friedliche Zeiten gegeben, sondern gerade für Zeiten der Gewalt. Eine Kirche, die auch auf Waffengewalt setzt, kann sich nicht auf Jesus Christus berufen.

7. „Ihr seid das Salz der Erde!“

Hoffnung auf eine wahrnehmbar christliche Kirche

In diesem Sinne rufen wir unsere Kirche und alle Menschen im Land auf, für Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen einzutreten, in denen das Wohlergehen der Menschen – nicht die Interessen von Staaten und Konzernen – Priorität hat.

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Quelle:
friedenspfarramt.elk-wue.de

Biblisch-theologische christliche Stellungnahme von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Wie im Teaser angekündigt, folgt ergänzend zu dem Friedensaufruf von Paul Bosler die Rede, die Pfr. i. R. Friedrich Gehring am 3.10.2023 beim Friedensfestival in Stuttgart gehalten hat.

Liebe Frieden Suchende,

im Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt vom September zitiert ein evangelischer Theologe den Satz von Benediktinern:

„Jesus hat sich wohlweislich in den Himmel verabschiedet, damit wir selber Entscheidungen fällen und nicht immer ihn fragen, was wir tun sollen.“

Dieser fatale Satz wird gelobt als einleuchtende Grundlage einer praktischen Friedensethik. So biedern sich christliche Kreise jesusvergessen der kriegstreiberischen angeblichen Zeitenwende an. Ich möchte aber festhalten an der Frage, was Jesus angesichts des Ukrainekriegs heutigen Christen aufträgt.

In jedem Vaterunser bitten Christen zuerst um Vergebung der eigenen Schuld, um danach selbst die Schuld anderer zu vergeben. Deshalb fordert Jesus in dem bekannten drastischen Bildwort:

„Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen!“ (Mt 7,5).

Ich muss als Christ deshalb zuallererst danach fragen, was ich selbst mit dem Ukrainekrieg zu tun habe.

Die deutsche Politik ordnete sich nach dem grauenhaften 2. Weltkrieg dem Machtbereich des US-geführten Westens ein. Jesus spricht Klartext über die Weltherrscher:

„Die Mächtigen dieser Welt unterdrücken ihre Völker und missbrauchen ihre Macht gegen sie“ (Mk 10,42).

Die USA missbrauchten ihre Macht nach der deutschen Kapitulation grauenhaft in Hiroshima und Nagasaki, danach in Vietnam, im Kosovo, im Irak, in Afghanistan und Libyen. Aus der Sicht Jesu durfte sich Deutschland weder dem westlichen noch dem östlichen Machtbereich unterordnen. Die Eltern unseres Grundgesetzes von 1949 wussten das noch. Art 4 sicherte das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung, es schützte vor Zwangsrekrutierungen durch die Siegermächte.

Der Artikel 26 bestrafte schon die Vorbereitung eines Angriffskriegs, also schon Manöver mit den Machtmissbrauchern, erst recht die Gestattung von deren Militärstützpunkten. Artikel 24 erlaubte dagegen die Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit, das auch die Sicherheitsinteressen aller denkbaren Feinde berücksichtigt. Hier wurde noch dem Gebot Jesu gefolgt, auch Feinde zu lieben (Mt 5,43).

Die Politik seit Adenauer und das vorherrschende gesellschaftliche Bewusstsein missachtete diese christlich-pazifistische grundgesetzliche Bindung. Die Friedenspolitik von Kanzler Brandt sowie die ursprünglich von den Grünen realistisch gesehene Angst vor einem Atomkrieg wurden zwar ein Gegengewicht und Gorbatschows Abrüstungspolitik bescherte uns die gewaltfreie deutsche Wiedervereinigung. Die Friedensdividende wurde aber nach Ende des kalten Kriegs nicht eingelöst.

Das Bundesverfassungsgericht erlaubte zwar am 12.07.1994 gemeinsame Einsätze von Bundeswehr und NATO, allerdings unter der Voraussetzung von Mandaten des UN-Sicherheitsrats. Dieses Urteil wurde als Freibrief missbraucht, um Serbien im Rahmen der NATO grundgesetzwidrig und völkerrechtswidrig ohne UN-Mandat zu bombardieren. Dies geschah zudem unter den verlogenen Behauptungen, es gelte serbische Massaker und ein neues Ausschwitz zu verhindern. Hier wurde, wie Jesus sagt, „heuchlerisch“ der Splitter im Auge des Bruders behauptet und von den Balken im eigenen Auge abgelenkt.

Den Gipfel der Heuchelei erleben wir nun seit 2022: Der Westen verteufelt Putin, der im Donbass unternimmt, was die NATO im Kosovo verbrochen hat. Die NATO-Lügen von Massakern und neuem Auschwitz im Kosovo wurden in einer WDR-Dokumentation vom 8.02.2001 stichhaltig widerlegt.

Aber die 14.000 Toten des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Bevölkerung des Donbass sind wahr. Dieser Krieg ist als „nichtinternationaler bewaffneter Konflikt“ wegen der vielen toten Zivilisten strafbar nach § 11 Völkerstrafgesetzbuch. Er wurde von einer vom Westen gestützten ukrainischen Putschregierung am 15.04.2014 als „Antiterroroperation“ begonnen. Die Minsker Abkommen zur Einhegung dieses verbrecherischen Kriegs wurden vom Westen missbraucht, um die ukrainische Regierung besser aufrüsten zu können. Dies ist inzwischen von Ex-Kanzlerin Merkel und Ex-Präsident Hollande eingestanden. Wir unterstützen die ursprünglichen Angreifer.

Den schlimmsten jüngsten Balken im eigenen Auge erkennen wir, wenn wir dem israelischen Ex-Premier Bennett zuhören. Er bezeugt, dass die NATO am 23.03.2022 nach ihrem Beschluss gegen eine neutrale Ukraine die russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen blockiert hat. Der britische Premier Johnson wurde zu Präsident Selenskij geschickt, um ihn durch das Versprechen von Waffen zur Weiterführung des Kriegs zu motivieren. Der weise US-Enthüllungsjournalist Ellsberg nannte diesen Vorgang ein „crime against humanity“, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Wie bekommen wir als Frieden Suchende diese grauenhaften Balken aus dem eigenen Auge?

Ich denke, christliche Umkehr beginnt mit dem Bekenntnis der eigenen Schuld. Wir müssen deshalb dem kriegerischen Zeitenwendegerede entgegenhalten, dass diese Wende spätestens 1999 mit der Teilnahme am Krieg gegen Serbien geschah. Damals wandelte sich die NATO gemäß ihrem eigenen Statut vom April 1999 von einem Verteidigungsbündnis zu einem Interessenbündnis. Dieses führt Kriege um „lebenswichtige Rohstoffe“, also Öl, oder gegen „unkontrollierte Bewegungen von Menschen“, also Flüchtlinge.

Spätestens hier erlaubte der Art. 87a des Grundgesetzes keine NATO-Mitgliedschaft mehr, weil die Bundeswehr nur zur Landesverteidigung eingesetzt werden darf. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat früh festgestellt, dass die Ausbildung ukrainischer Soldaten an deutschen Panzern die Linie zur Kriegsteilnahme überschreitet. Selbst Ministerin Baerbock hat ausgeplaudert, dass wir Krieg gegen Russland führen. Christen müssen ihr sagen, dass sie diesen verfassungswidrig führt. Deutschland wurde nicht angegriffen.

Wenn es nicht gelingt, beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NATO Mitgliedschaft zu erreichen, müssen Christen dieses verbrecherische Bündnis wenigstens ausdauernd prophetisch anprangern. In der Bevölkerung ist ein Unrechtsbewusstsein angesichts der NATO Verbrechen zu schaffen, um Kriegsmüdigkeit und Widerstand gegen diesen Krieg zu verstärken.

Auch ist an Worte Jesu zu erinnern, die noch gar nicht von der Feindesliebe geprägt sind, sondern rein von gesundem selbstschützendem Menschenverstand. Jesus setzt selbstverständlich voraus, dass ein Kriegsherr um Frieden nachsucht, wenn eine Übermacht gegen ihn heranzieht (Lk 14, 31-32). Weil die NATO-Länder zu wenig Munition liefern können, wird selbstzerstörerisch Streumunition eingesetzt. Eine vernünftige Regierung, die ihr Volk schützt, müsste um Frieden nachsuchen.

Erst recht ist an die Warnung Jesu erinnern:

„Wer zum Schwert greift, wir durchs Schwert umkommen.“ (Mt 26,52).

Beide Kriegsparteien erleben furchtbare Verluste an Kämpfenden. Christen sollten sich um tägliche Opferberichte bemühen, die vom kriegstreiberischen Mainstream gezielt verschwiegen werden. Es muss breit öffentlich gemacht werden, dass es sich seit vielen Monaten um einen sinnlosen Zermürbungskrieg wie 1916 bei Verdun handelt.

Geringfügige wechselnde Geländegewinne werden mit tausenden Toten und Verwundeten bezahlt. Dem Mythos, es werde hier unsere westliche Freiheit verteidigt, ist die Realität entgegen zu halten, dass die Ukraine geopfert wird zur Schwächung Russlands. Auch die Inflation in unserem Land ist als sinnloses Opfer bewusst zu machen. Ebenso ist darauf hinzuweisen, dass unsere Wirtschaft unter der Energieverteuerung zu leiden hat, weil wir gegen Russland Krieg führen. Selbst in den USA wollen deshalb die Republikaner ihrem Gegner Biden das Geld für den Krieg nicht mehr geben.

Alle Christen, die noch Jesus nachfolgen wollen, müssen die Scheinbegründungen dieses Kriegs entlarven und ihn als Machtmissbrauch und Verbrechen gegen die Menschlichkeit brandmarken.

Ich danke für Eure Aufmerksamkeit!

Pfr. i. R. Friedrich Gehring
3.10.2023, Friedensfestival in Stuttgart

 


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