Wer ist der Aggressor? – ein Artikel von George und Doris Pumphrey

Wer ist der Aggressor? – ein Artikel von George und Doris Pumphrey Screenshot Freidenker

George und Doris Pumphrey sind Aktivisten in der Friedenskoordination (Friko), Berlin und werfen in diesem Artikel einen nicht NATO-konformen Blick auf die Geschehnisse in der Ukraine, einen Blick jenseits der Hetze gegen Russland und den russischen Präsidenten.

Diesen Artikel haben wir mit freundlicher Genehmigung von Klaus Hartmann, stellvertretender Vorsitzende des Deutschen Freidenker-Verbandes, übernommen. Vielen Dank dafür!

Wer ist der Aggressor?

Gabriele Gysi: „Der ukrainische Bürgerkrieg hat Russland die Verantwortung für die russische Bevölkerung der Ukraine aufgezwungen – und damit Russland in diesen Krieg genötigt. Die ‘russische Aggression’ erfolgt nach langen Versuchen einer friedlichen Lösung der ukrainischen Probleme. Der ukrainische Präsident, Herr Selenskij, hat nach seiner Wahl entgegen seiner Ankündigung den Bürgerkrieg nicht beendet, sondern brutal fortführen lassen.”

Es gibt genug Informationen und Analysen über die Osterweiterung der NATO bis an die russischen Grenzen und über das Bestreben der USA, ein Wiedererstarken Russlands nach dem Ende der Sowjetunion zu verhindern, um die Aufrechterhaltung der globalen US/NATO-Hegemonie zu sichern. In der Friedensbewegung war dies oft Thema und Grund für Aktionen.

Auch über die Entwicklung seit dem, von den USA und NATO-Verbündeten unterstützen faschistischen Putsch 2014 in der Ukraine, ist vieles veröffentlicht worden. Die dem Pentagon nahestehende Denkfabrik, RAND-Corporation hatte 2019 die US-Strategie deutlich formuliert: „Russland überdehnen und aus dem Gleichgewicht bringen“ mit einem Katalog von Maßnahmen zur Schwächung Russlands. Die wichtigste Maßnahme zielte darauf ab, die Ukraine als „die größte externe Verwundbarkeit Russlands auszunutzen“, sie zu bewaffnen und militärisch zu beraten, um einen Konflikt mit Russland zu entfachen.

Noch am 8. Februar 2022 empfahl die NATO-Denkfabrik Atlantic Council in einem Strategiepapier Das Ziel Washingtons sollte die Vertreibung der Russen aus der Ostukraine sein.

Schon im Jahr zuvor, am 24. März 2021 hatte der ukrainische Präsident Selenskij ein Dekret unterschrieben zur militärischen Wiedereingliederung der Donbass-Republiken und der Krim in den ukrainischen Staat, also auch einer direkten Bedrohung des Territoriums der Russischen Föderation. Die Regierung hatte den Auftrag erhalten, einen entsprechenden „Aktionsplan“ zu entwickeln.

Die von der Bundesregierung und Frankreich geduldete Sabotage der Minsk II Abkommen zur friedlichen Lösung des Konflikts in der Ukraine, die provozierenden Ankündigungen über deren NATO-Mitgliedschaft, nukleare Bewaffnung und die zunehmende militärische Aufrüstung des Landes verschärften die Spannungen mit Russland.

Mit Vorschlägen für Verträge mit den USA und der NATO über Sicherheitsgarantien, versuchte die russische Regierung noch im Dezember 2021 die Situation zu entschärfen und die Grundlage für ein friedliches Miteinander zu schaffen.

Als Kiew im Januar/Februar 2022 seinen achtjährigen Krieg gegen die Bevölkerung im Donbass, durch die Konzentration ukrainischer Verbände mit ihren Neonazi-Bataillonen an der Grenze von Donezk und Lugansk erheblich ausweitete, als die Artillerieangriffe gegen die dortige Bevölkerung immer intensiver wurden, als die USA/NATO immer noch keine konstruktive Antwort auf die russischen Vorschläge gegeben hatte, machte die russische Regierung laut einer Pressemitteilung am 17. Februar einen letzten Versuch den bevorstehenden massiven Überfall der Kiewer Truppen zu verhindern und eine friedliche Lösung herbeizuführen.

Moskau warnte:

„Sollte die amerikanische Seite nicht bereit sein, feste, rechtlich verbindliche Garantien zu vereinbaren, um unsere Sicherheit vor den USA und ihren Verbündeten zu gewährleisten, wird Russland gezwungen sein, zu reagieren, auch mit militär-technischen Maßnahmen.“

Die USA/NATO hatten kein Interesse an einer friedlichen Lösung. Die Strategie war Russland zu schwächen und zu dezimieren. Am 21. Februar erkannte Russland die beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk als unabhängige Staaten an und unterzeichnete Verträge über Freundschaft und gegenseitigen Beistand. Am 24. Februar schließlich, griff Russland in den schon seit acht Jahren dauernden Krieg ein, um seine Verbündeten vor der drohenden ethnischen Säuberung zu schützen und der wachsenden existenziellen Bedrohung der Russischen Föderation durch die USA und NATO entgegenzutreten.

Seit dem Einschreiten der russischen Armee wird dessen Notwendigkeit durch Handeln und Aussagen der USA und NATO bestätigt. Der Sprecher des Pentagon John Kirby brüstete sich im Mai, dass die USA mit ihren Verbündeten die ukrainische Armee seit acht Jahren mit großem Aufwand für den Krieg gegen Russland vorbereitet hätten.

Ohne sich die Zeit zu nehmen, die mit Russlands militärischem Einschreiten neu entstandene Situation umfassender zu analysieren, setzte der Bundesausschuss Friedensratschlag eiligst am 24. Februar den Ton “Wir verurteilen die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine. Für Krieg gibt es keine Rechtfertigung. Die Mitschuld des Westens besonders der USA und der NATO rechtfertigen keinesfalls diese militärische Aggression.

Die meisten Erklärungen aus der Friedensbewegung begannen mit der empörten Verurteilung des “völkerrechtswidrigen Aggressionskrieges” oft mit dem Zusatz „aufs schärfste“, „verbrecherisch“, „durch nichts zu rechtfertigen“. Diese Verurteilung wurde zum neuen Gesslerhut, den viele aus der Friedens- und linken Organisationen meinten grüßen zu müssen, um ihre „Glaubwürdigkeit“ zu wahren.

Dabei beziehen sie sich ausschließlich auf das Gewaltverbot in internationalen Beziehungen, wie es in der Charta der Vereinten Nationen Artikel 2, Absatz 4 festgelegt wurde:

"Artikel 2 der UN-Charta

4. Alle Mitglieder enthalten sich in ihren internationalen Beziehungen der Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates oder auf andere Weise, die mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist."

Nur wenige Organisationen der Friedensbewegung, wie der Freidenker-Verband, machen auf einen weiteren wichtigen Artikel diesbezüglich aufmerksam:

"Artikel 51

Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält."

[Die Russische Föderation hatte den Sicherheitsrat ordnungsgemäß informiert.]

Der Bezug auf Artikel 51 wurde in der deutschen Friedensbewegung fast durchweg als in diesem Zusammenhang völlig belanglos abgetan. Man hatte Russland im Eiltempo mit Artikel 2,4 abgeurteilt und damit schienen jedes weitere Nachfragen, jede weitere Diskussion erledigt. Die Tatsache, dass Russland mit der Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk als unabhängige Staaten auch einen Vertrag über gegenseitigen Beistand abgeschlossen hatte, wurde in den meisten Erklärungen nicht einmal erwähnt. Damit wurde ein wichtiges völkerrechtliches Element der Vorgeschichte einfach ausgeblendet.

Ebenso völlig ausgeblendet wird von der großen Mehrheit der deutschen Friedensbewegung der russophobe Neonazismus in der Ukraine. Wenn man im einstimmigen Chor der anti-russischen Verurteilung behauptet, das Einschreiten Russlands sei „durch nichts zu rechtfertigen“, dann verbietet sich natürlich auch jeder Hinweis darauf.

Der („Fuck-the-EU“-)Putsch in Kiew 2014 war ein Verfassungsbruch, der mit offener Hilfe des Westens und unter entscheidender Mitwirkung neonazistischer Gruppen ein anti-russisches Regime an die Macht brachte. Dieser Putsch gegen den gewählten Präsidenten wurde von der Bevölkerung im Donbass verständlicherweise nicht anerkannt. In einem Referendum 2014 sagte sie sich mehrheitlich von Kiew los und wandte sich Russland zu. Kiew begann den Krieg gegen den Donbass und alles Russische.

Die russische Regierung setzte sich acht Jahre lang für eine friedliche Lösung des Konflikts im staatlichen Rahmen der Ukraine ein. Es war vergebens. Der Westen unterstützte die Sabotage von Minsk II durch Kiew. Der ukrainische Präsident Poroschenko, der das Minsk-II-Abkommen unterzeichnet hatte, erklärte vor kurzem, er habe nie vorgehabt das Abkommen umzusetzen, es diente nur als Ablenkung, um ein starkes Militär aufzubauen – mit massiver Hilfe der USA/NATO, wie ihre Vertreter heute stolz wiederholen.

Klaus Hartmann, der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Freidenker-Verbandes machte auf einen weiteren Aspekt aufmerksam:

„Die Argumente, mit denen Russland Völkerrechtsbruch nachgewiesen werden soll, gehen abstrakt von der Prämisse aus, dass Russland aus heiterem Himmel ein Stück eines souveränen Staats abgetrennt hätte. Was dagegen wirklich in der Ukraine geschehen war: durch einen gewalttätigen Putsch wurde die rechtmäßig gebildete und international anerkannte Regierung in Kiew gestürzt. NATO-treue Kräfte unterstützten diesen Gewaltakt über verschiedene Kanäle. (…)

„Dies stellte eine verdeckte NATO-Aggression gegen die Ukraine dar. Sofort zeigte sich, dass die Putschregierung über große Teile des Landes keine Kontrolle hat. Trotzdem wurde sie im Eilverfahren von den USA, den NATO- und EU-Staaten als legitime Vertretung der Ukraine anerkannt. Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine wurden durch die NATO-Regierungen verletzt.

Denn es waren die USA, die NATO und die EU, die dadurch faktisch einen Teil der Ukraine unter ihren Einfluss brachten, unter Bruch des Völkerrechts und der ukrainischen Verfassung. (…)

  • Die Sezession der Donbass-Republiken ist kein Verstoß gegen das Völkerrecht, denn dies ist eine innerstaatliche Angelegenheit, zu der das Internationale Recht naturgemäß nichts sagt.
  • Sie verstößt wahrscheinlich gegen die ukrainische Verfassung, doch diese wurde von den Putschisten suspendiert.
  • Die russische Anerkennung verstößt auch nicht gegen das Völkerrecht, und an die ukrainische Verfassung ist Russland nicht gebunden.
  • Nach den anschließend angenommenen Verträgen über Beistand und Freundschaft zwischen Russland und den Donbass-Republiken waren die Bedingungen für die Wahrnehmung des Rechts auf Selbstverteidigung gem. UN- Charta gegeben. (…)“

Einige Kommentatoren halten die Unterstützung, die Russland der Bevölkerung des Donbass gewährt hat, für einen Fall der sogenannten “Schutzverantwortung” oder “R2P”. Das ist falsch.

R2P ist eine imperialistische Doktrin, die von der NATO im Anschluss an die Aggression gegen Jugoslawien erfunden wurde. Im Rahmen der R2P-Doktrin behaupten die Imperialisten, dass sie das “Recht” haben, in ein anderes Land einzumarschieren – unter dem Vorwand, dass ein “Völkermord” im Gange ist – um die Regierung zu stürzen und “die Menschenrechte wiederherzustellen”. Diese Doktrin wurde erstmals in Libyen angewandt, die Ergebnisse sind bekannt. Im Falle der R2P werden die Invasionsmächte nicht gebeten, der amtierenden Regierung zu Hilfe zu kommen, sondern sie dringen ein, um diese Regierung zu stürzen. Im Laufe der Jahre hat die NATO eine ausgeklügelte begleitende Propaganda-Infrastruktur geschaffen, zu der auch der Internationale Strafgerichtshof und verschiedene “internationale Tribunale”, sowie “Menschenrechts”-NGOs gehören – alle auf Geheiß verschiedener westlicher Regierungen – um falsche Anschuldigungen zu formulieren und zu verbreiten, um ihre Kriege und Regime-Change in Ländern, die sich ihrem Diktat widersetzen, zu rechtfertigen.

Der Vorwurf einer “russischen Aggression” beruht daher auch auf der irrigen Annahme, Russland sei in eine souveräne Ukraine “eingedrungen”. Die Donbass-Volksrepubliken hatten sich acht Jahre lang gegen Aggressionen des fremdbestimmten Kiewer Regimes gewehrt, die über 13.000 Menschenleben forderten. Sie waren trotzdem seit 2015 auf der Basis von Mink II bereit, als Regionen mit Sonderstatus Teil der Ukraine zu bleiben. Als Kiew deutlich machte, dass eine Verständigung nicht in Frage käme und eine massive Offensive unmittelbar bevorstand, baten die Donbass Republiken Russland um Anerkennung ihrer Unabhängigkeit. Russland ist nicht als Aggressor in den Krieg Kiews gegen die Donbass-Republiken eingetreten, sondern als Verbündeter – zu deren Verteidigung.

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Anmerkung der Redaktion: Artikel wie dieser haben zu kontroversen Reaktionen geführt, daher möchten wir hier darauf hinweisen, dass einzelne Artikel auf Blautopf die Sichweise der Autoren darlegen und nicht zwingend die Meinung der Redaktion oder der übrigen Autoren abbildet.

Wir möchten in diesem Zusammenhang auch auf den folgenden Artikel verweisen: "Sag Nein! Kein Krieg ist legitim".

 

Quelle:
Freidenker • Wer ist der Aggressor?

 


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