Buchbesprechung: "Die Bergpredigt als Zeitenwende" von Eugen Drewermann

Buchbesprechung: "Die Bergpredigt als Zeitenwende" von Eugen Drewermann Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Das im Juni 2023 im Patmos Verlag erschienene Buch "Nur durch Frieden bewahren wir uns selber. Die Bergpredigt als Zeitenwende" des Paderborner Theologen und Psychoanalytikers Dr. Eugen Drewermann stellt eine kritische, vielschichtige, umfassende, existenzielle Arbeit dar, die die Bergpredigt als eine universell-menschliche Medizin gegen die Hauptursachen von Gewalt und Krieg zur Überwindung dieser anbietet.

Veröffentlichung dieses Textes mit freundlicher Genehmigung seines Autors, Sergej Perelman.

Unser Verteidigungsminister Boris Pistorius forderte kürzlich einen "Mentalitätswechsel". Eugen Drewermanns außerordentlich bemerkenswertes Buch ist ein solcher radikaler Mentalitätswechsel, jedoch absolut konträr zu der von Herrn Pistorius geforderten Kriegstüchtigkeit. Die, folgt man der Analyse Drewermanns, nichts Anderes darstellt als den Ausdruck einer wahnhaften Angst-Paranoia, welche uns als Normalität präsentiert wird. Denn Angst und Angstverbreitung gehören zu den Hauptursachen von Kriegen. Vertrauen, Güte, Verstehen und die Perspektive der Ewigkeit formuliert Eugen Drewermann als Erlösung von der verhängnisvollen Angst des Menschen, die ihn in einer Art Wahn permanent zu Gewalt, Hochrüstung und Krieg zwingt und immer zwingen wird.

Wer die „alternativlose Realität“ nicht mehr erträgt und dabei nicht in Resignation und Gleichgültigkeit verfallen mag, angesichts der augenfälligen scheinbaren Unabänderbarkeit der brutalen, grausamen und blutigen Herrschaft des Krieges, wird Eugen Drewermanns Buch vielleicht als einen Lichtstrahl in die Finsternis der gegenwärtigen Welt wahrnehmen können, um wieder wenigstens ein wenig Hoffnung zu schöpfen.

Der erfahrene Theologe und Psychoanalytiker untersucht in seiner Arbeit verschiedene Schichten und Disziplinen der Wirklichkeit nach den Ursachen von Kriegen. Dabei nimmt er die Psychologie des Einzelnen und der Gruppe, Moral, Kirche, Staat, Medien, Geld/Kapital, Rüstungsindustrie, Geschichte und Geopolitik unter die Lupe. Am Ende kommt er zu dem Schluss, dass Frieden sich nur religiös im Geiste der Bergpredigt – gemeint ist eine universell-menschliche Lebensform und keine institutionalisierte Kirche bzw. Konfession – realisieren lässt.

Dies begründet er damit, dass eine Einstellung dringend gesucht werde als Antwort auf die Hauptursache von Kriegen – nämlich die Angst –,

„welche die Kriegsproblematik durch die Vermittlung eines angstbesänftigenden Vertrauens zu überwinden vermag; eine solche indessen ist möglich allein auf der Basis einer Religiosität, wie sie die Bergpredigt empfiehlt und als Erlösung anbietet“.(1)

Wer es ernst meint mit Weihnachten, sollte sich auf jeden Fall die Lektüre dieses Buches vornehmen. Denn Weihnachten meint nicht einen leeren Aberglauben, Jesus sei ohne Geschlechtsverkehr seiner Eltern zur Welt gekommen. Nein, es steht sinnbildlich genau dafür: Es gibt eine inwendig evidente, jenseitige Realität einer reinen, unbedingten Liebe, welche nur durch uns diese Welt zu vermenschlichen vermag, indem wir durch sie zu einer Übereinstimmung mit uns in Vertrauen gelangen. Daraus entspringt der Geist der Bergpredigt. Vermittelt wurde er uns – neben anderen, die auch aus dieser Sphäre gelebt und gewirkt haben – durch Jesus aus Nazareth. Unmittelbar erfahrbar und realisierbar wird er nur durch jeden von uns.

Das Böse lasse sich nur durch Verstehen und Güte überwinden, indem wir nicht zurückschlagen, sondern indem wir, gefestigt in einem tiefen Vertrauen, uns nach den Hintergründen des Bösen erkundigen und diese mit dem Gegenüber abarbeiten. Das ist eines der wesentlichen Erlösungsangebote aus dem Teufelskreis von Angst, Angstverbreitung durch immer tödlichere Waffen und Krieg, das sich aus Mt 5, 38-39 ableiten lässt.

"Sicherheit ist nur möglich als die Sicherheit des anderen"

– mit dieser Formel betont Drewermann die Tatsache, dass die eigene Sicherheit immer und vor allem von der Unbedrohtheit des anderen abhängt. Doch die Umsetzung dieser Formel setzt auf meiner Seite eben das erwähnte, alles entscheidende, erlösende Vertrauen voraus.

Das Buch richtet sich keineswegs nur an Christen, sondern an alle Menschen, die das Grauen der Realität nicht mehr ertragen und sich eine vermenschlichende Alternative aus dem Teufelskreis von Gewalt und Krieg ersehnen. Politikerinnen und Politiker, Professorinnen und Professoren, Lehrerinnen und Lehrer, Studierende und Schülerinnen und Schüler in den höheren Klassenstufen gehören unbedingt auch zur Zielgruppe dieser geistvollen, befreienden, visionären Arbeit. Aber eine Einschränkung sei gemacht: Das Buch ist nur für Mutige bzw. für alle, die mutig werden wollen. Denn mit dem Vorurteil, Gewaltverzicht im Sinne Jesu oder Gandhis sei eine Position der Schwäche und Feigheit, räumt der Autor auf.

Dr. Eugen Drewermann ist Theologe, Psychoanalytiker und Schriftsteller mit internationaler Reichweite; er gehört zu den erfolgreichsten theologischen Autoren. Für sein friedenspolitisches Engagement wurde er 2007 mit dem Erich-Fromm-Preis ausgezeichnet, 2011 erhielt er den internationalen Albert-Schweitzer-Preis, 2019 den Preis der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft*. Der gefragte Referent nimmt immer wieder Stellung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen.

(1) Eugen Drewermann: "Nur durch Frieden bewahren wir uns selber. Die Bergpredigt als Zeitenwende". Patmos Verlag: 2023. S. 253.
Weitere Informationen zum Buch

* A.d.R.: Am 18.05.2023 erhielt er als erster Preisträger die "Aachener Auszeichnung für Menschlichkeit" von dem Aachener Bündnis "Diplomatie statt Waffen und Sanktionen!"

Verweis:
Blautopf • Israel, möge Gott dein Herz und deine Fäuste erweichen (ein anderer Text von Sergej Perelman)

 


Gelesen 384 mal