Ein Zimmermann aus Nazareth

Der Vater oder Ziehvater Jesu - in den Evangelien und in der Kunst, in der Legende und im Klatsch.

1859 wurden beim Bau einer Eisenbahnstrecke in Bingerbrück die Grabsteine von neun römischen Soldaten gefunden. „Tiberius Julius Abdes Pantera von Sidon“ war auf einem davon zu lesen, „62 Jahre alt, 40 Jahre gedient, ehemaliger Standartenträger der Ersten Kohorte von Bogenschützen.“ Pantera stammte also aus Phönizien. Wegen seiner langjährigen Dienste in der Armee hatte er das römische Bürgerrecht erhalten, bevor er im Jahre 40 n. Chr. am Rhein verstarb. Seine Einheit war, wie die Historiker aus anderen Quellen wussten, zuvor in Judaea stationiert gewesen.

Eine Karriere, wie es sie damals zu Tausenden gab. Doch der Name des Legionärs ließ aufhorchen. „Panthera“ hieß dem Philosophen Kelsos zufolge, der in den späten 170-er Jahren eine detaillierte Polemik gegen das aufstrebende Christentum verfasste, ein römischer Soldat, dem man nachsagte, er habe während seiner Zeit in Nazareth ein ehebrecherisches Verhältnis mit Maria, der späteren Mutter Jesu, unterhalten. Panthera und nicht Marias Ehemann Josef sei also der Vater Jesu gewesen, meinte Kelsos.

Ein Ehebruch anstelle der Geburt Jesu aus einer Jungfrau – diese Behauptung war geeignet, das Christentum zu diskreditieren. Selbst zu erfinden braucht Kelsos seine Geschichte wohl nicht. Vermutlich übernahm er sie von jüdischen Gewährsleuten, für die es ein zusätzliches Ärgernis war, dass Jesu Vater Angehöriger der verhassten Besatzungsarmee gewesen sein sollte. Das ganze Mittelalter hindurch tauchte der Name „Panthera“ immer wieder in jüdischen Darstellungen zum Ursprung der konkurrierenden Religion Christentum auf. Von einer anderen Variante berichtete um 200 n. Chr. der Kirchenvater Tertullian: Unter Juden sei die Behauptung in Umlauf, Jesu Mutter wäre eine Hure gewesen.

Der Kirchenvater Origenes wird das Richtige getroffen haben, als er in den späten 240-er Jahren schrieb, die Panthera-Legende sei erfunden worden, um „die wunderbare Empfängnis vom Heiligen Geist“ unglaubwürdig zu machen. Wenn man den Evangelien im Neuen Testament vertraut, hatten Jesu Zeitgenossen dagegen nicht den Eindruck, da würden irgendwie Aufsehen erregende Familienverhältnisse vorliegen. „Ist das nicht der Sohn Josefs?“, fragen im Lukasevangelium, geschrieben um 90 n. Chr., die Zuhörer, als Jesus in der Synagoge seiner Heimatstadt Nazareth lehrt. Das Matthäusevangelium, etwa ein Jahrzehnt früher, spricht vom „Sohn des Zimmermanns“, allerdings ohne den Namen „Josef“ zu nennen. Im Markusevangelium, ca. 70 n. Chr., wird Jesus selbst als „Zimmermann“ bezeichnet und als „Sohn der Maria“.

Warum in diesem ältesten aller Evangelien der Vater nicht genannt wird, ist unklar. Um Rücksicht auf die Lehre von der jungfräulichen Geburt Jesu, die dann bei Matthäus und Lukas die Aussagen von der „irdischen“ Familie Jesu überdeckt, kann es nicht gegangen sein; sie spielt bei Markus noch keine Rolle. Vielleicht trifft ja zu, was später die Legende erzählte: Josef sei früh, noch vor Jesu öffentlichem Auftreten, verstorben. Dann hätte, dem Brauch der Zeit folgend, Jesus als ältester Sohn den väterlichen Betrieb übernommen. Ebenso wenig ist aber auszuschließen, dass ein übereifriger Anhänger der jungfräulichen Geburt den „Sohn Josefs“ oder „Sohn des Zimmermanns“ in den „Sohn der Maria“ korrigiert hat.

Doch das alles muss Spekulation bleiben. Der Verfasser des Lukasevangeliums fand in anderem Zusammenhang einen „korrekten“ Ausgleich zwischen dem Dogma und der Wahrnehmung der Zeitgenossen: „Man hielt ihn für den Sohn Josefs“. Die Berufsbezeichnung „Zimmermann“ ist übrigens die Übersetzung von griechisch „tekton“. Das bezeichnete die verschiedensten Handwerker- und Baumeistertätigkeiten, ob nun mit Stein oder Holz. Die Kirche hat den heiligen Josef später als das Urbild des frommen Handwerkers verehrt. Seit dem späten Mittelalter wurde er auf Altargemälden gern bei der Zimmermannstätigkeit dargestellt, mit Säge, Beil, Bohrer oder Winkelmaß in der Hand. Manchmal geht ihm der halbwüchsige Jesus zur Hand. 1955 erklärte Papst Pius XII. den 1. Mai, zusätzlich zum traditionellen Heiligentag am 19. März, zum Gedenktag „Josefs des Arbeiters“.

"Josef der Arbeiter", Cainta. Elmer B. Domingo, CC BY-SA 4.0 via WikiCommons
Kirche "Josef der Arbeiter" in Cainta/Phillipinen - E.B. Domingo, CC BY-SA 4.0 via WikiCommons

Ganz unbefangen ist in allen vier Evangelien von „Geschwistern“ Jesu die Rede. Die meisten Historiker vermuten heute, dass tatsächlich Geschwister gemeint waren, nicht bloß Gleichaltrige in einer Großfamilie. Die Lehre, Maria sei auch nach der Geburt Jesu Jungfrau geblieben, bildete sich erst im 2. Jahrhundert heraus. Um eine solche immerwährende „Josefsehe“ wahrscheinlich zu machen, entstand die Legende, Josef sei bereits zum Zeitpunkt seiner Vermählung mit Maria ein alter Mann gewesen.

Das sogenannte „Protevangelium des Jakobus“ erzählte von einer früheren Ehe Josefs. „Söhne habe ich bereits und bin ein alter Mann“, soll Josef zunächst gesagt haben, als die Priester im Tempel von Jerusalem ihn gemeinsam mit anderen „gerechten Männern“ aus den zwölf Stämmen Israels als Bewerber um die Ehe mit der jungen Maria auserwählten, „ich will den Kindern Israels nicht zum Gespött werden“. Doch allein aus dem Stab des greisen Josef erwuchs frisches Grün, eine Taube schlüpfte heraus. Die Verlobung von Maria und Josef war das ganze Mittelalter hindurch ein populärer Lesestoff – und bis in die Renaissance ein beliebtes Motiv der Malerei, Beispiel: das Bild von Raffael, das heute in der Mailänder Brera hängt.

Sowohl dem Matthäus- als auch dem Lukasevangelium zufolge war Josef ein Abkömmling von König David. Über diese Abstammungslinie war auch Jesus als Angehöriger des alten Königsgeschlechtes legitimiert. Eine Stelle im ersten Timotheusbrief deutet darauf hin, dass es bereits um 100 n. Chr. im frühen Christentum heftige Diskussionen über solche Stammbäume gegeben haben muss: Der Verfasser mahnt die Gläubigen, „sich nicht abzugeben mit endlosen Geschlechterreihen, die nur Streitfragen mit sich bringen, statt dem Heilsplan Gottes zu dienen“.

Es liegt nahe, in diesen Stammbäumen einen krassen Widerspruch zur Lehre von der jungfräulichen Geburt zu sehen, durch die Josef doch zum bloßen Ziehvater wird. Weder Matthäus noch Lukas unternimmt einen Versuch, diesen Widerspruch aufzulösen. Die wahrscheinlichste Erklärung dürfte sein, dass beide Momente, sowohl die Abkunft Jesu von David über Josef als auch seine Geburt aus einer Jungfrau, bereits fest in der Tradition von Jesus, dem „Christus“, dem „Messias“, verankert waren. Selbst wenn die Verfasser da einen Widerspruch gesehen haben sollten – sie konnten weder das eine noch das andere weglassen.

Bei Matthäus wie bei Lukas wird aber deutlich, dass die Empfängnis aus dem Heiligen Geist sowohl Maria als auch Josef auf eine Probe stellte. „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“, fragt Maria im Lukasevangelium den Engel Gabriel, und der antwortet: „Für Gott ist nichts unmöglich“. Bei Matthäus will Josef seine Braut, die ohne sein Zutun ein Kind erwartet, verlassen. Ein Engel klärt ihn auf: „Das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.“

Im Protevangelium des Jakobus wird die Situation noch um einiges drastischer ausgemalt: Josef und Maria müssen sich gegen Vorwürfe wehren, sie hätten vor der Eheschließung „Unzucht“ getrieben. Im 4. Jahrhundert entstand in Ägypten eine „Geschichte von Josef dem Zimmermann“, die schon durch ihre Altersangaben jeden Gedanken ausräumen wollte, es könnte jemals um etwas anderes gegangen sein als um eine „Josefsehe“. Bei seiner Eheschließung mit Maria sei Josef 89 Jahre alt gewesen, im Alter von 101 Jahren sei er dann gestorben.

Die kargen Angaben zum Vater Jesu in den Evangelien, kombiniert mit dem Glaubensgeheimnis der jungfräulichen Geburt, haben immer wieder Spekulationen hervorgerufen. 1736 griff der Aufklärer Voltaire auf Kelsos zurück: Ein Ehebruch der Maria mit dem Legionär Panthera komme ihm jedenfalls plausibler vor als das kirchliche Dogma, meinte Voltaire nicht ohne Boshaftigkeit. Die Ausgrabung in Bingerbrück gab der Panthera-Legende neuen Auftrieb – obwohl der Grabstein doch bloß beweisen konnte, dass es in der römischen Armee jemanden mit diesem Namen gegeben hat.

Lange vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus vermutete der Biologe Ernst Haeckel 1899 in seinem Buch „Die Welträtsel“, Jesus sei tatsächlich der Sohn eines römischen Hauptmanns, also kein reiner Jude gewesen. Offenbar will der Gedanke, Jesus könnte einer ganz „normalen“ jüdischen Familie entstammen, auch jenen schwer eingehen, die dem christlichen Glauben mit viel Distanz gegenüberstehen.

Der Vater oder Ziehvater Josef – eine Figur, die in den Geschichten und Bildern von der Kindheit Jesu allgegenwärtig ist, aber durchweg in einer untergeordneten, dienenden Rolle. Die Maler zeigen ihn, wie er, auf seinen Krückstock gestützt, am Lager der Maria wacht oder die Windeln trocknet oder den Brei zubereitet. In einem alten Weihnachtslied klagt Maria, dass sie keine Windeln für ihr Kind hat. „Wie bald, dass Josef die Rede vernahm, seine Hosen von seinen Beinen nahm. Er warf sie Maria in ihren Schoß, darin schlug sie Gott, den Herren, groß“.

Wenn jemand es nicht glauben will: Bei der sogenannten „Heiligtumsfahrt“ in Aachen werden diese Windeln alle sieben Jahre den Pilgern präsentiert, bis heute. In der Figur des Josef öffnete sich die heilige Geschichte der Alltagsrealität. So ist auf dem „Wildunger Altar“ des Konrad von Soest, um 1403, zu sehen, wie der Ziehvater sich eifrig bemüht, das Feuer anzufachen. Bei der Anbetung durch die Hirten und die Könige hält er die Laterne, bei der Darbringung im Tempel den Korb mit den Opfergaben. Und natürlich führt er den Esel auf der Flucht nach Ägypten.

Wenn Josef nicht gerade mit den Erfordernissen des Alltags beschäftigt ist, dann kniet er anbetend vor der Mutter mit dem Kind. Manchmal deutet sich auch Humor an. Oft erscheint Josef mit einem leicht mürrischen Gesichtsausdruck, auf dem „Torgauer Altar“ von Lucas Cranach d. Ä., 1509, ist er gar ermüdet eingeschlafen. Während der Ziehvater in den spätmittelalterlichen Bildern von der „Heiligen Sippe“ mit ihren vielen Figuren beinahe untergeht, erfährt seine väterliche Rolle in Renaissance und Barock eine gewisse Aufwertung, in sozusagen intimen Bildern von der kleineren „Heiligen Familie“. Es häufen sich auch die Andachtsbilder, auf denen Josef als Einzelgestalt dargestellt ist, mit dem Kind im Arm. Eine Lilie verdeutlicht, dass seine Vaterschaft nicht durch Geschlechtsverkehr zustande gekommen ist.

Dagegen hat sich der Volksbrauch der biblischen Gestalt nur ganz selten bemächtigt. In Valencia werden zu Ehren des heiligen Josef zu seinem Festtag am 19. März riesige Skulpturen aus Holz, Gips, Pappmaché oder auch Kunstfaser auf den Straßen und Plätzen aufgestellt und in der folgenden Nacht feierlich verbrannt. Eine Veranstaltung zum Austreiben des Winters, darf man vermuten. Eine Verbindung zum Heiligen kam wohl nur durch den Termin im Frühjahr zustande. 


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