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Weder Verschwörung noch Theorie

Weder Verschwörung noch Theorie Bild von himmlisch auf Pixabay

Der Engländer Tim Foyle veröffentlichte Anfang März 2021 im „Guardian" einen Essay mit dem Titel „On The Psychology Of The Conspiracy Denier – A closer look at the class that mocks" (Über die Psychologie des Verschwörungsleugners – ein genauerer Blick auf die Klasse, die spottet), worin er der Frage nachgeht, aus welchem psychischen Hintergrund das von „Verschwörungsleugnern" postulierte Denkverbot zu erklären ist. Seit Juni wird sein Text von „Radio München" dem hiesigen Publikum als Audio-Podcast in deutscher Sprache zur Verfügung gestellt. Ein interessantes Sujet, wie ich finde, das es verdient, über Foyle hinaus erörtert zu werden.

„Verschwörung" als Ersatz für Erklärung

„Verschwörung" impliziert satanische Kräfte, die sich an finsterem Ort heimlich zusammentun, um Böses gegen die Menschheit auszuhecken. Im Mittelalter unterstellte man den Juden, sie wollten durch Brunnenvergiftung die Pest auslösen, um die Christen auszurotten. Für Unwetter und sonstige Schicksalsschläge erklärte man die angeblich mit dem Teufel verschworenen „Hexen" für verantwortlich und tötete sie grausam. Psychologischer Hintergrund: Man hatte keine Erklärung für einschneidende Ereignisse. Um das damit verbundene Gefühl von Hilflosigkeit nicht aushalten zu müssen, erfand man Ursachen und Schuldige, an denen sich die Frustration austoben konnte.

Die „Elite" – auch eine Verschwörung?

Heutige „Verschwörungstheoretiker" haben die sogenannte „Elite" im Visier: also jene Clique Extremreicher, die in einem rechts- und gesetzesfreien Raum allein mit Hilfe ihres unermesslichen Vermögens Staaten gängelt und das Gesicht der Erde gestalten – nicht zum Besten der Menschheit. Die meisten Mitglieder der Clique bleiben anonym.

Dass dies phantasieanregend wirkt, ist nicht verwunderlich. Hinzu kommen Gerüchte über geheime Rituale, in denen Kinder missbraucht, gefoltert, getötet und gegessen werden. Ihr Blut soll als Verjüngungsmittel wirken. Wen das interessiert: in Wikipedia unter Ritualmordlegende nachzulesen.

Wie unvorstellbar derartige Perversionen auch sind – vergegenwärtigt man sich die Grausamkeiten, die Europäer während Kolonialisierung, Christianisierung, Versklavung der Afrikaner etc. verübt haben, fallen sie keineswegs aus dem Rahmen. Auch gegenwärtig werden ständig Kriege geführt, und im Krieg gibt es nichts, was der Willkür des Stärkeren Grenzen setzt. Öffentlich und mit aller Selbstverständlichkeit lässt man Menschen, deren Heimat durch Umweltzerstörung und Klimawandel unbewohnbar wurde, beim Fluchtversuch im Mittelmeer ertrinken. Europäer, die das nicht mit ansehen können und Flüchtlinge retten wollen, werden vom christlichen Abendland gehindert und kriminalisiert.

Die Existenz jener „Elite" dürfte kaum jemand bestreiten. Fraglich ist, ob man sie mit „Verschwörung" passend bezeichnet. „Verschwörung" meint einen sehr subjektiven Akt: eine Gruppe beschließt ein gemeinsames Vorhaben, und schwört sich in einem feierlichen Ritual darauf ein.

Endstadium einer polit-ökonomischen Entwicklung

So sind die Extremreichen nicht entstanden! Vielmehr stellen sie das Endstadium einer politisch-ökonomischen Entwicklung dar, die von Anfang an in der Logik des Kapitals lag, nämlich dessen stetig fortschreitender Konzentration. „Je ein Kapitalist schlägt viele tot." brachte Marx es griffig auf den Punkt.

Entstanden ist der Kapitalismus in den Städten. Dann wuchsen die Unternehmen  zur bestimmenden Kraft in ihrer jeweiligen Nation heran. Als nächstes bildeten sich supranationale Lager, die die Vorherrschaft auf der Welt anstrebten. Der westlichen kapitalistischen Welt mit den USA als Führungsmacht stellte sich der nach der Oktoberrevolution entstandene sozialistische „Ostblock" mit der Supermacht Sowjetunion entgegen. Rund 70 Jahre des 20.Jahrhunderts prägte der Kampf zwischen diesen beiden Lagern die Weltgeschichte.

Er endete mit der Kapitulation der Sowjetunion und dem Scheitern ihrer Vision eines sozialistischen Staates. Damit erhielt der traditionelle Kapitalismus endgültig freie Bahn. Die Weltherrschaft wurde ihm praktisch zu Füßen gelegt. Er nahm sie auf, setzte sie um und brachte die Welt in den Zustand, den wir heute erleben. Es kam zur ultimativen Kapitalzusammenballung in den Händen der „Eliten", die auch „Oligarchen" genannt werden.

Eliten oder Oligarchen: Kapitalisten wie andere zuvor

Im Prinzip machen diese nichts anderes als Kapitalisten eh und je betrieben haben. Jedes Unternehmen hat seine Strategie entwickelt: In welches Marktsegment sollte es einsteigen? Wie kann es seine Produktionskosten senken, um möglichst hohe Gewinne zu erzielen? Wie sollte es Werbung gestalten, um viele Käufer zu erreichen? Solche Strategien wurden selbstverständlich stets geheim gehalten, sonst hätte die Konkurrenz davon profitiert.

Der Unterschied zwischen den Oligarchen und ihren Vorläufern liegt im Wirkungsbereich. Die früheren Kapitalisten waren auf eine Stadt oder eine Nation beschränkt, die Aktivitäten der Oligarchen sind global. Ihre Produktions- und Vermarktungsstrategien wirken sich auf den Zustand des gesamten Planten und die Lebensbedingungen der ganzen Menschheit aus. Der weitere wichtige Unterschied zu früheren Stadien des Kapitalismus besteht darin, dass es auf der globalen Ebene keine staatlichen Strukturen und Gesetze gibt, so dass die Profitmaximierung keinerlei Beschränkungen ausgesetzt ist.

Der Begriff „Verschwörung" bzw. „Verschwörungstheorie" geht also an der Sache vorbei. Es handelt sich nicht um eine Verschwörung, sondern um eine Situation, die gemäß der inneren Logik des Kapitalismus auf der derzeitigen Entwicklungsstufe eintreten musste. Auch der Begriffsbestandteil „theorie" ist unangebracht, denn die Existenz der ultimativen Kapitalkonzentration und ihrer Begleiterscheinungen ist nicht theoretisch, sondern real. Mit der Verschwörung wird natürlich auch der Begriff „Verschwörungsleugner" hinfällig, denn etwas, das es nicht gibt, kann man nicht leugnen.

Foyles Psychogramm der „Verschwörungsleugner"

Die Zeitgenossen, die Tim Foyle als „Verschwörungsleugner" bezeichnet, gibt es jedoch, und er charakterisiert sie zutreffend: Das Kind, das den Eltern gehorcht, um Anerkennung und Zuneigung nicht aufs Spiel zu setzen, bleiben sie ein Leben lang. Aus dem gleichen Motiv gehorchen sie dem Lehrer, dem Firmenchef, den staatlichen Autoritäten und überhaupt den gesamten, in der Gesellschaft üblichen Verhaltensnormen. Nach der Sinnhaftigkeit von all dem wagen sie nicht zu fragen. Wenn Andere diese Frage an sie herantragen, reagieren sie abwehrend oder aggressiv. – Verständlich. Denn es könnte sich sonst herausstellen, dass die Ausrichtung ihres ganzen Lebens fragwürdig war.

Sich den Angepassten nicht überlegen fühlen!

Die kritischen Geister sollten sich den Gehorsamen und Angepassten aber nicht überlegen fühlen! In aller Regel bleibt die Kritik nämlich auf den Raum des Denkens und der Theorie beschränkt. Der gesamten, vom Kapital gestalteten Lebensweise unterwerfen sich nämlich auch die Kritiker – vielleicht mit ein paar minimalen Abweichungen.

„Unterwerfen" ist aber schon der falsche Ausdruck, denn den Großteil dieser Lebensweise übernehmen viele durchaus freiwillig. Wir mögen die Industrialisierung der Landwirtschaft kritisieren, greifen im Supermarkt aber doch zu den kostengünstigsten Produkten. Wir verurteilen die imperialistische Ausbeutung der Entwicklungsländer, freuen uns aber doch, dass wir für Jeans oder Heimwerkergeräte so wenig bezahlen müssen.

Politisch-ökonomisch betrachtet, lassen wir uns bestechen: Den Bevölkerungen der hoch industrialisierten Länder wird ein zufriedenstellender Lebensstandard ermöglicht, damit sie sich ruhig verhalten und nicht etwa wieder zu klassenkämpferischen Aktionen greifen.

Von den Arbeiter:innen in den brutal ausgebeuteten Ländern ist das allerdings nicht zu erwarten. Sie sind damit ausgelastet, von einem auf den anderen Tag zu kommen, haben nicht den historischen und wissenschaftlichen Hintergrund der europäischen Beschäftigten und haben es mit erfahrenen und raffiniert handelnden Kapitalisten zu tun, die darauf achten, den Bogen maximal, aber doch nicht zu sehr zu überspannen.

Endstadium ist Ankündigung des Neuen

Und doch kommt das so raffiniert gefügte System jetzt ins Wanken. Wie schon angemerkt: Wir befinden uns in einem historischen Endstadium. Der gesamte Erdball ist heute dem Kapital subsumiert. Eine territoriale Ausweitung ist nicht mehr möglich. Und auch die Ressourcenausbeutung hat ihr Limit erreicht. Der Planet selber macht es deutlich. Zu viel gasförmigen Müll musste er schon in seine Atmosphäre aufnehmen. Jetzt steigt die Temperatur und verursacht tödliche Wetterextreme, an einem Ort Flut, woanders Dürre.

Noch wird versucht, einen angeblichen Killervirus – dessen tödliche Wirkung sich an der Sterbestatistik allerdings nicht nachweisen lässt – als Gefahr Nr. 1 darzustellen, um von den klimaverursachten Katastrophen abzulenken, welchen man hilflos gegenüber steht. Doch lange wird das Lügenwerk nicht halten.

Das Ende von etwas Altem ist immer auch der Anfang von etwas Neuem. Auch diejenigen, die in den Autoritäten des Systems bisher eine Art Übereltern sehen, die es nur gut mit uns meinen, werden diesen Glauben verlieren. Und dann wird sich das Neue zeigen.

Verweise:
Guardian, 12. März 2021: Tim Foyle, On The Psychology Of The Conspiracy Denier – A closer look at the class that mocks
Radio München: Die Psychlogie der Verschwörungsleugner - von Tim Foyle (Podcast)
Wikipedia: Ritualmordlegende

 


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