18.11.2020: Selbstentmachtung des deutschen Parlaments

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Der 18.11.2020 könnte als rabenschwarzer Tag für das demokratische Deutschland in die Geschichte eingehen. Doch ich will lieber daran glauben, dass der Buß- und Bettag 2020 bald nur noch eine schlechte Erinnerung sein wird. Alles andere ist eigentlich unvorstellbar, denn durch die Zustimmung zum "Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" hat sich das Parlament entmachtet.

Um es mit den Worten des Verfassungsrechtlers Prof. Volker Boehme-Neßler auszudrücken, der in diesem Interview von LIVE WELT zu sehen und hören ist: "Das Parlament ist nicht mehr der wichtigste Player, wie es in einer Demokratie sein sollte." In diesem kurzen Interview erklärt der erfahrene Jurist, warum er bezweifelt, dass das Gesetz der Verfassung entspricht.

Zum einen verlangt das Rechtsstaatsprinzip, dass das Gesetz eine möglichst klar formulierte Erlaubnis für den Staat und die Behörden enthält, wenn in Grundrechte eingegriffen wird. Das ist beim Dritten Infektionsschutzgesetz nicht der Fall, denn hier haben wir nur eine Aufzählung von erlaubten Maßnahmen in einem unklaren, schwammigen Rahmen, d.h. der Ermessensspielraum der Regierung ist sehr breit für ganz tiefe Eingriffe in das Grundrecht. Prof. Boehme-Neßler veranschaulicht seine Erklärung mit dem Faktor 50 (Neuinfektionen pro 100.000 Personen), der als Grundlage für die eine oder andere Maßnahme fundiert und sagt außerdem, dass diese Inzidenz* zu unklar sei. Er fügt hinzu:

"Die Idee vom Rechtsstaat ist die, dass die Macht des Staates gebändigt wird, dass die Grundrechteingriffe des Staates begrenzt werden und das müsste dieses Gesetz leisten und das leistet es aus meiner Sicht nur ganz begrenzt."

Zum anderen ist für ihn das Gesetz nicht verfassungskonform, weil im Grundgesetz steht, dass wir eine Demokratie haben, deren zentrales und wichtigstes Organ das Parlament ist. Dieses Gesetz ist aber eine Art Selbstentmachtung des Parlaments, das Regierung und Behörden einen Blankoscheck ausstellt. Es kann nicht mehr mitreden, sobald eine Epidemie nationaler Tragweite aufgerufen wird.

Die Fragestellerin resümiert: "Da kann die Regierung, die da die Mehrheit hat, im Grunde tun, was sie will" und wird von Herrn Boehme-Neßler bestätigt: "So ist es. Das ist nicht im Sinne der Demokratie."

Für mich ist absolut nicht nachvollziehbar, warum dieser Verfassungsrechtler nicht die nötigen Schritte unternahm, um dieses anti-demokratische Gesetz zu verhindern. Genauso perplex macht mich die Tatsache, dass die Journalistin nicht auf die Idee kam, danach zu fragen. Und warum erfahren wir nichts darüber, wie dieses verfassungswidrige Gesetz am besten zu annulieren ist?

Eine letzte Bemerkung: Unterhalb des Videos lesen wir am Schluss "aggressive Stimmung am Brandenburger Tor". Auch dies ist ziemlich unklar formuliert. Wir könnnten glauben, dass die Demo-Teilnehmer:innen aggressiv waren. Dabei ist selbstredend die unübersehbare Polizeigewalt gemeint (Einsatz von Wasserwerfern gegen friedliche Demonstranten und sogar von Tränengas, wie Zeugen berichten).

* Inzidenz = Anzahl der neu auftretenden Erkrankungen innerhalb einer Personengruppe von bestimmter Größe in einem bestimmten Zeitraum

Quellen und Verweise:
Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler über das IfSG 3
Drittes Infektionsschutzgesetz durchgepeitscht
Infektionsschutzgesetz: Die Demokratie wird abgeschafft
Schon am 22.10.2020 wurde Prof. Boehme-Neßler von der WELT interviewt:
"Pauschale Corona-Maßnahmen unzulässig"


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